Wenn es sich nicht um so etwas Ernstes wie eine Präsidentschaftswahl handeln würde, dann hätte man in diesen Tagen in Frankreich reichlich zu lachen. Drehbuchautoren von tragichen Komödien hätten das Szenario der letzten Wochen nicht besser schreiben können. Ein Wahlkampf geprägt von aberwitzigen Debatten über die Rolle der Justiz, über Instrumentalisierung von Medien, über die Wirkung von Gerüchten und Manipulationen durch ausländische Interessen.
Kaum eine Wahl war so spannend, so unvorhersehbar, so beängstigend, so entscheidend für Europa. Angesichts der anklagenden Töne gegen Europa, gegen Deutschland, könnte uns östlich des Rheins das Lachen im Halse stecken bleiben. In Frankreich selbst lebt die Tradition der Satire indes von ebensolchen krakeelenden Stimmen, von Affären, Gerüchten und Skandalen. Von diesem Gesichtspunkt aus waren die letzten Wochen ein wahres Fest.
Werfen wir also einen Blick auf die absurden Begebenheiten dieser Wahlen, die im Grunde genommen selbst schon Realsatire sind und erinnern wir uns: Zu den grotesk komischen Elementen dieses Wahlkampfes gehören zweifelsohne an erster Stelle die Affären rund um den konservativen Kandidaten der Partei Les Républicains, François Fillon. Die Justiz beschäftigt sich derzeit mit der vermeintlichen Scheinbeschäftigung seiner seiner Frau Penelope, die zu mehreren Zeitpunkten als parlamentarische Assistentin für ihren Mann tätig war und dafür über 800.000 Euro kassierte. Darüber hinaus erhielt sie 100.000 Euro aus den Kassen eines Literaturmagazins, für das sie als Beraterin tätig gewesen sein soll.
Canard Enchainé – gefürchtet, geliebt
Der Haken in beiden Fällen besteht darin, dass sich kaum Belege finden lassen,
für die Arbeit, die Penelope Fillon tatsächlich geleistet hat. Ihr Mann ließ bei einer Presseerklärung verlauten, ihre Aufgaben seien “einfach aber essentiell” gewesen … ein Argument, das man sich auf der Zungen zergehen lassen kann und das sich durchaus in Zukunft bei Gehaltsverhandlungen mit dem Arbeitgeber vorbringen lässt. Auch seinen Kindern hat Fillon Pöstchen beschafft, während die beiden Zöglinge noch dem Jura-Studium nachgingen. Beide verdienten im Senat jeweils über 40.000 Euro in zwei Jahren für diesen lukrativen “Studentenjob”. Bleiben noch geschenkte Anzüge im Wert von 13.000 Euro, die Fillon von einem Freund annahm und obwohl er sich diesbezüglich moralisch nichts vorwerfen lassen will, ließ er vor einem Monat wissen, er habe die Kleidungsstücke zurückgegeben. Als eines der Hauptargumente, um die Vorwürfe gegen ihn abzuschwächen, brachte er hervor, dass die Tatsache, Familienangehörige zu beschäftigen, weit verbreitet sei und über Parteigrenzen hinweg schon immer praktiziert wurde. So weit, so realsatirisch. Hinter dem Bekanntwerden der Fillon-Affären steckt die Wochenzeitschrift Canard Enchainé , ein Blatt im Zeichen einer ganz eigenen französischen Pressetradition, das weltweit wohl keine vergleichbare Entsprechung hat.
Gegründet 1915, liegt den Artikeln im Canard durchaus langwierige, investigative journalistische Arbeit zugrunde. Auf acht eng beschriebenen Seiten, die ohne Werbung auskommen, dafür aber politische Karikaturen bieten, werden dem Leser pikante Details des politischen Betriebs preisgegeben, mehr noch, der Canard gilt als die Zeitung, die den besten Zugang zu brisanten Quellen hat, und die in der Lage ist, Skandale aus allen politischen Lagern aufzudecken. François Fillon sah in den Veröffentlichungen jedoch eine gesteuerte Kampagne gegen ihn und ließ keine Gelegenheit aus, das Wochenblatt zu diffamieren und als Instrument seiner politischen Gegner zu brandmarken. Nachdem er es den Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen knapp verpasst hat, ist er jetzt sogar juristisch gegen das Blatt vorgegangen. Zweifelsohne haben die Affären den Kandidaten geschwächt, der sich in die Hoffnung flüchtete, dass ihm als Präsident Immunität gewährt wird und damit das eingeleitete Verfahren gegen ihn und seine Frau vorerst auf Eis gelegt werden würde. Für der Canard war die Fillon-Geschichte ein wahrer Verkaufsschlager – eine halbe Million Exemplare in einer einzigen Woche, eine der meistverkauftesten Ausgaben seit Gründung der Zeitung.
So weit, so absurd.
Satire produzieren die Kandidaten zuallererst selbst
Zu den weit weniger amüsanten Elementen dieser Kampagne, gehörte die Gerüchteküche, die insbesondere in den sozialen Netzwerken einiges zum Brodeln brachte. So wurde Emmanuel Macron mehrere Tage lang ein Verhältnis mit dem Direktor von Radio France, Mathieu Gallet, unterstellt und seine angebliche Homosexualität wurde in allen humoristischen Formen, Videos, Fotomontagen oder Karikaturen, durchdekliniert. Immerhin nahm es der unabhängige Kandidat der Bewegung En Marche, der seine ehemalige Lehrerin ehelichte, die 24 Jahre älter ist und allein deshalb ein gefundenes Fressen für Humoristen, seines Zeichens auch mit Humor: « Für Brigitte ist das unangenehm », sagte er. « Sie fragt sich, wie ich das (Doppelleben) körperlich schaffe, wo ich doch rund um die Uhr mit ihr zusammen bin. »
Ohne Frage bietet insbesondere die rechtsextreme Marine Le Pen Angriffsfläche für Humoristen. Das blond gesträhnte Schreckgespenst des Front National bekommt ihr Fett weg, sowohl von Karikaturisten als auch von Radiokommentatoren oder Twitter-Usern und nicht zuletzt auf ihren Wahlplakaten, auf denen häufig mit Filzstiften Hitlerbärtchen, Teufelsohren oder and
ere Accessoires hinzugefügt werden. Aber auch die kleinen Kandidaten haben Unterhaltungswert, so wie der Trotzkist Poutou, der in einer TV-Debatte beklagte, dass Menschen wie er im – Gegensatz zu Le Pen oder Fillon – Vorladungen der Polizei Folge leisten müssten, denn schließlich gäbe es keine Arbeiter-Immunität.
Ein weiterer wenngleich weit abgeschlagener Bewerber um den Einzug in den Élysee-Palast heißt Jacques Cheminade und er träumt von einer Industrialisierung des Mondes und der Erforschung des Mars. Außerdem enthält sein Wahlprogramm zum Thema Kultur den Vorschlag, das Liedgut der Nation zu fördern und systematisch Kirchen dazu zu nutzen, gemeinsam zu singen, denn der Leerstand der Gotteshäuser und deren ausgezeichnete Akustik, müsse man zum Wohle des singenden Volkes nutzbar machen.
In vielerlei Hinsicht lieferten die Kandidaten in den letzten Wochen und Monaten also selbst den Stoff, aus dem Humoristenträume gemacht sind. Da braucht es nicht mal sonderlich viel Phantasie. Die satirische Wochenzeitung Charlie Hebdo druckte auf eine ihrer Titelseiten eine Maske von Penelope Fillon zum Ausschneiden, mit dem Titel “Geld verdienen, ohne etwas zu tun”. Schnell
machten im Internet Fotos die Runde, auf denen Franzosen mit der Maske zu sehen sind. Fillon schaffte es zahlreiche Male auf Seite 1, sei es mit seiner Frau im Bett, oder als Filzlaus, die sich partout an seine Kandidatur klammert. Wenige Tage vor der Wahl aber, das Szenario einer Le Pen als chancenreiche Kandidatin, ist selbst den Karikaturisten der Humor vergangen. Ein aufgerissenes, riesiges Maul von Marine Le Pen wird gezeigt, ein Franzose mit einem Wahlzettel schaut tief hinein in den Schlund. “Frankreich am Rande des Abgrunds” lautet der Titel …
Hoffentlich haben die Franzosen nach der zweiten Wahlrunde am 07. Mai wieder Anlass zum Lachen. Nicht aus zynischer Verbitterung, sondern mit dem Gefühl der Erleichterung.